Wahrnehmung als Begegnung mit sich selbst im gestalterischen Dialog von Licht, Form und Schatten. Bild: »Dreifisch«, Informationen zu Creative Commons (CC) Lizenzen, für Pressemeldungen ist der Herausgeber verantwortlich, die Quelle ist der Herausgeber
»Dreifisch«: Pädagogischer Rahmen – selbst sichtbar werden – statt dargestellt sein
Loitz, 24. April 2025
Bevor die eigentlichen Gestaltungsexperimente beginnen, ist es sinnvoll, einen Schritt zurückzutreten. Nicht, um etwas zu planen. Sondern um zu klären, was uns trägt. Denn was hier geübt wird, hat mit mehr zu tun als mit Technik. Es hat mit Wahrnehmung zu tun. Mit Aufmerksamkeit. Und mit dem Vertrauen, dass Gestaltung ein Weg sein kann – kein Ziel.
Wer sich auf diesen Prozess einlässt, beginnt mit einer Haltung, nicht mit einer Methode. Deshalb ist dieser Prolog kein Vorwort im klassischen Sinn. Er ist ein Raum. Ein Denkraum, ein Wahrnehmungsraum, ein Raum der Öffnung. Er markiert nicht den Anfang eines Curriculums, sondern den Übergang in eine Praxis des Sehens.
Geschichtliche Spur: Wer war Catharine Rembert?
#Catharine #Rembert arbeitete leise. Ihr Weg verlief am Rand der etablierten Systeme – und genau dort entwickelte er Kraft. In einer Nachkriegszeit voller Umbrüche und neuer Ordnungen verstand sie Gestaltung nicht als Ornament, sondern als eine Form der Auseinandersetzung mit Welt und Wahrnehmung.
Ihre #Pädagogik war einfach, aber nicht simpel: Reduzieren. Beobachten. Wiederholen. Sie glaubte an die Kraft der Wiederkehr, an das Unscheinbare. Und sie vertraute darauf, dass jede gestalterische Handlung zugleich eine innere Bewegung ist. In dieser Tradition stehen auch die Übungen, die hier vorgeschlagen werden: Sie bieten keine Lösungen, sondern Möglichkeiten, aufmerksam zu werden.
Sehen lernen: Räume, Linien, Material
Gestaltung beginnt mit dem Sehen. Aber nicht mit dem schnellen Blick – sondern mit dem verweilenden. Positiv und Negativraum, Linie und Leere, Material und Geste – das sind keine Vokabeln, sondern Beziehungen. Wer eine Linie zieht, entscheidet. Wer einen Raum lässt, vertraut. Wer Material berührt, setzt eine Spur – und empfängt eine Antwort.
Wachs hat eine andere Stimme als Kreide. Der Schatten spricht anders als die Form. Auch ein digitales Werkzeug ist nicht neutral – es formt mit. Und wir lernen ihm zuzuhören.
Analog und digital – kein Gegensatz
Kreide, Tablet, Papier, AR – wir unterscheiden nicht nach Technik, sondern nach Haltung. Die Undo Sperre eines Tablets wird zum Schulungsraum für Entschiedenheit. Ein digitaler Glitch wird nicht gelöscht, sondern gelesen. Gestaltung mit digitalen Mitteln ist Teil unserer Wirklichkeit – sie verlangt dieselbe Aufmerksamkeit wie jede andere Spur. Vielleicht manchmal sogar mehr.
Was zählt, ist nicht das Tool – sondern wie wir ihm begegnen. Und was wir damit sichtbar machen, für uns und für andere.
Vielfalt sehen, Vielfalt gestalten
Gestaltung ist nicht neutral. Sie wird gemacht – und gelesen. Von unterschiedlichen Menschen, in unterschiedlichen Sprachen, mit unterschiedlichen Sinnen. In diesem Rahmen wird #Inklusion nicht »mitgedacht«, sondern vorausgesetzt: Nicht alles muss für alle gleich sein – aber alles kann für viele zugänglich gemacht werden.
Wir gestalten hörend, tastend, lesend, zeichnend, sprechend. Und vor allem: gemeinsam. Die Differenz ist keine Hürde. Sie ist das Material, aus dem unsere gemeinsame Sprache entsteht.
Gestaltung im Kontext
Gestaltung ist Beziehung. Sie steht nicht für sich selbst – sie tritt in Resonanz. Mit einem Raum. Mit einer anderen Form. Mit einer Linie, die nicht von uns ist. Gestaltung bedeutet auch: zuhören. Und manchmal: sich enthalten.
Was wir hier lernen, lässt sich nicht nur in Skizzenbüchern anwenden. Es betrifft auch die Art, wie wir Räume betreten. Wie wir sprechen. Wie wir uns zeigen – oder nicht.
Was dieser pädagogische Rahmen meint – und was er nicht meint
Wenn wir von einem pädagogischen Rahmen sprechen, meinen wir keinen festen Plan. Keine Abfolge von Übungen, die auf ein definiertes Ziel hinauslaufen. Wir meinen einen Raum mit Orientierung – aber ohne Richtungsvorgabe. Einen Rahmen, der trägt, aber nicht festhält. Einen Zusammenhang, der Form gibt – ohne zu formen.
Dieser Rahmen ist durchlässig. Er erlaubt Fragen, Abweichungen, Pausen. Er versteht sich als Resonanzfläche für Prozesse, die nicht linear verlaufen. Als Einladung zum Mitdenken – nicht zum Nachvollziehen.
Er ist keine Struktur im klassischen Sinn. Er ist ein Gestaltungsraum für Wahrnehmung – offen, fragmentarisch, wiederholbar. Und gerade deshalb tragfähig.
Was dieser Rahmen will
Dieser Rahmen will nicht erklären. Er will öffnen. Räume schaffen, in denen etwas entstehen kann – im eigenen Blick, in der Geste, im Austausch. Er versteht Gestaltung nicht als Ergebnis, sondern als Begegnung: zwischen Sehen und Handeln, zwischen Tun und Lassen, zwischen Form und Fragment.
Er bietet keine Rezepte. Stattdessen: Übungen, die aufmerksamer machen. Texte, die nicht bewerten, sondern begleiten. Methoden, die zu Fragen führen, nicht zu Lösungen.
Denn was wir hier üben, ist mehr als Zeichnen. Es ist eine Schule der Wahrnehmung. Für das, was sichtbar wird – und für das, was wir bewusst offen lassen.
Kapitel 1: Die Linie als Entscheidung
Ein Fokus auf Geste, Präsenz und Wahrnehmung
Eine #Linie ist niemals nur eine Linie. Sie ist immer eine Entscheidung, eine Setzung, die etwas sichtbar macht und zugleich anderes verbirgt. Catharine Rembert lehrte uns, Linien bewusst und mit Bedacht zu ziehen. Ein Strich bedeutet hier Präsenz, eine Haltung im Raum. Die Linie fordert uns auf, Verantwortung zu übernehmen: Für das, was wir sichtbar machen, und für das, was wir auslassen.
In der Übung »Silent Drawing« setzen wir genau da an. Eine einzige Linie, gezogen in sechzig Sekunden, ohne Absetzen, ohne Rücknahme. Was am Anfang nach Einschränkung klingt, wird mit der Zeit zur Befreiung. Denn wenn man nicht zurück kann, muss man sich entscheiden – für Richtung, für Tempo, für Spannung. Es ist, als ob der Stift das Denken überholt und gleichzeitig vertieft. Jeder kleine Schlenker, jede abrupte Wendung trägt Bedeutung. Nicht weil sie perfekt ist, sondern weil sie bezeugt: Ich war da. Ich habe gespürt. Ich habe mich entschieden.
Viele Teilnehmer sagen nach dieser Übung: »Ich habe zum ersten Mal gemerkt, dass ich zögere, bevor ich beginne.« Oder »Ich wusste nicht, dass ich Linien denken kann.«
Es ist kein technisches Zeichnen, das hier geschieht. Es ist ein Nach Innen Schauen – und gleichzeitig ein Heraus Treten. Die Linie wird zur Spur des Moments.
Digitale Werkzeuge helfen, diesen Moment bewusst zu machen. Mit Tablets und sogenannter »Undo Sperre« wird das Zurücknehmen blockiert – für drei Sekunden, für fünf. In dieser kurzen Verzögerung liegt ein ganzes Feld an Achtsamkeit. Die Geste, die wir tun, bleibt. Sie bleibt sichtbar, auch wenn sie nicht perfekt ist. Und genau darin liegt ihre Kraft.
Wir sprechen in der Reflexion nicht davon, ob eine Linie »schön« ist. Wir fragen: Was sagt sie? Welche Entscheidung liegt darin? Was wurde gespürt, was wurde ausgelassen? Die Linie wird zur Sprache – einer Sprache, die keine Wörter braucht. Und je mehr man hinhört, desto klarer erkennt man: Eine Linie kann schreien. Oder flüstern. Oder einfach nur still dastehen, ohne sich erklären zu müssen.
Aufgabenstellung: Silent Line
Ziel: Ziehe eine einzelne Linie in einem festgelegten Zeitraum von 60 Sekunden. Kein Absetzen. Kein Zurücknehmen. Währenddessen (oder danach) dokumentiere deine Gedanken oder Empfindungen: schriftlich, per Audioaufnahme oder durch ein Gespräch.
Varianten für Vertiefung
Wiederhole die Übung täglich über eine Woche – im gleichen Format oder mit variierenden Werkzeugen. Nutze unterschiedliche Medien: Feder, Kohle, Licht, Faden im Raum. Versuche die Linie nicht auf Papier, sondern im Raum – auf einer Glasscheibe, mit Kreide auf Asphalt oder digital in AR.
Lernziele
#Bewusstsein für Gestaltung stärken: Verstehen, dass jede Linie eine bewusste Entscheidung ist. Wahrnehmung fokussieren: Aufmerksamkeit auf Bewegung, Materialität, Richtung und Pause richten. Reduzierung als gestalterische Haltung erfahren: Beschränkung führt zu Konzentration. #Selbstreflexion ermöglichen – durch begleitende Sprache oder Notation den inneren Prozess sichtbar machen.
Pädagogische Prinzipien
Prozess vor Produkt: Es geht nicht um das »schöne Bild«, sondern um das Erleben von Linie als Handlung. Wertfreie Beobachtung: Feedback beschreibt Wirkung und Wirkungsmöglichkeiten – ohne Bewertung. Fragendes Denken anregen: Was löst die Linie aus? Welche Möglichkeiten hätte es noch gegeben? #Iteration erlauben: Die Linie wiederholt – nicht um sie zu verbessern, sondern um sie besser zu verstehen.
Mögliche Lernmethoden
Selbststudium/individuelles Arbeiten – die Übung wird als tägliches Ritual ins eigene Skizzenbuch integriert – jeden Tag zur gleichen Uhrzeit, mit einem festen Medium. Ergänzend kann eine kurze schriftliche Reflexion oder ein Audiojournal helfen, Wahrnehmungsveränderungen festzuhalten. Wiederholung wird hier zur Schulung des Blicks.
Atelier Gruppe/begleitetes Setting – in einer Gruppe entsteht ein gemeinsamer Raum der Stille. Alle zeichnen gleichzeitig, ohne zu sprechen. Danach folgt eine dialogische Betrachtung: »Was sehe ich in deiner Linie?« – keine Bewertung, sondern Resonanz. Sichtbarkeit entsteht durch Austausch, nicht durch Vergleich.
Digitales Format/Fernlehre – die Aufgabe wird als kurze Videoanleitung oder Textimpuls bereitgestellt. Teilnehmende laden ihre Ergebnisse (Linie, Foto, Reflexion) in eine geteilte digitale Galerie hoch. Die Linie wird dadurch nicht nur sichtbar, sondern auch dokumentiert – als Spur eines individuellen Prozesses.
Experimentelle Umsetzung/performative Varianten – die Linie wird nicht gezeichnet, sondern bewegt: mit einem Seil im Raum, mit einem Lichtstrahl in der Dunkelheit, mit Kreide auf dem Asphalt. Die Dokumentation erfolgt fotografisch oder filmisch. Die Linie wird zur Geste im Raum – sichtbar gemacht durch Bewegung.
Zum Weiterdenken
Die Linie ist Ausgangspunkt – aber nie Ziel. Sie ist wie der erste Schritt auf einem leeren Weg: sichtbar, eindeutig, aber offen für das, was folgt. Wer gelernt hat, eine Linie bewusst zu setzen, beginnt anders zu sehen – klarer, ruhiger, vielleicht auch mutiger. Denn wenn schon eine Linie so viel sagen kann – was sagen dann all die anderen Entscheidungen, die wir täglich treffen?
Kapitel 2: Der Raum dazwischen
Ein Fokus auf Wahrnehmung, Spannung und das Unsichtbare
Es ist leicht, auf das Sichtbare zu achten. Schwieriger ist es, den Raum dazwischen zu spüren. Doch genau hier liegt die Kraft. Der Zwischenraum spricht, er atmet, er ist nicht leer, sondern voller Potential. In ihm entsteht Dialog. Die Übungen mit Abstand und Leerstellen lehren uns, genau hinzuhören, innezuhalten und Raum zu geben – dem Unausgesprochenen, dem Ungezeichneten.
Was wir zunächst als Leere empfinden, ist oft das Gegenteil: Präsenz in anderer Form. Der Zwischenraum ist kein »Nicht Ort«, sondern ein Ort des Dazwischen. Zwischen 2 Linien entsteht Spannung. Zwischen 2 Formen entsteht Rhythmus. Zwischen dem, was gesagt wurde, und dem, was nicht ausgesprochen ist, entsteht Bedeutung.
In einer Übung setzen wir 2 schlichte Formen nebeneinander – analog ausgeschnitten oder digital im AR Raum platziert. Und dann? Dann warten wir. Verschieben sie. Nähern sie an. Entfernen sie wieder. Wir beobachten, was im Raum geschieht – ohne dass sich etwas »bewegt«. Eine Teilnehmerin sagte einmal: »Ich habe zum ersten Mal gesehen, wie der Abstand selber spricht.« Diese Erfahrung verändert nicht nur, wie wir gestalten. Sie verändert auch, wie wir wahrnehmen.
Oft ist es dieser Zwischenraum, in dem ein Werk erst lebendig wird. Er macht Platz für das, was nicht eindeutig ist. Für Assoziationen. Für offene Fragen. Für #Resonanz. Und diese Resonanz – sie lässt sich nicht erzwingen. Aber sie lässt sich wahrnehmen, wenn wir still genug werden.
Auch in Sprache erleben wir diese Zwischenräume. Eine Pause, ein Innehalten, ein Zögern – sie können mehr sagen als Worte. In der Gestaltung lernen wir, solche Momente nicht zu füllen, sondern ihnen zu vertrauen. Leere als Ausdruck. Nicht als Mangel.
Digital umgesetzt, zum Beispiel durch eine AR Sandbox, wird diese Leere sogar greifbar: Zwischen 2 virtuellen Objekten entsteht ein realer Wahrnehmungsraum. Man kann ihn umschreiten. Kann schauen, wie Licht fällt. Wie sich Perspektive verändert. Plötzlich wird klar: Der Raum dazwischen ist nicht neutral – er ist aktiv. Und wir sind Teil davon.
Diese Art des Denkens verändert auch unseren Umgang mit Gestaltung insgesamt. Wir fragen nicht mehr nur: Was stelle ich dar? Sondern: Welchen Raum öffne ich? Für wen? Für was? Und was lasse ich bewusst frei?
Aufgabenstellung: Zwischenraum Komposition
Ziel: Gestalte eine Konstellation aus 2 (oder wenigen) einfachen Formen. Positioniere sie so, dass der Raum dazwischen zum eigentlichen Thema wird. Arbeite mit Papierformen, Objekten im Raum oder digitalen AR Platzierungen.
Impulse für die Arbeit
Nähe vs. Distanz – wie verändert sich die Spannung? Horizontal vs. vertikal – wie wirkt der Raum? Leerstelle vs. Überlagerung – wann wird etwas zu viel? Wann zu wenig?
Dokumentation: Fotografiere oder skizziere die Konstellationen in unterschiedlichen Stadien. Reflektiere schriftlich oder mündlich: Was hast du gesehen? Was hat sich verändert?
Lernziele
Zwischenräume bewusst wahrnehmen und gestalten lernen. Sensibilität für Spannung, Rhythmus und Balance entwickeln. Gestalterisches Denken vom Objekt zum Beziehungsraum erweitern. Achtsamkeit für Leere, Stille und Nicht Handeln stärken.
Pädagogische Prinzipien
Material und Raumresonanz fördern – Leere als kraftvolles gestalterisches Mittel ernstnehmen. Beobachtung statt Interpretation – was passiert im Raum – ganz konkret, ohne symbolische Deutung? Fragen statt Festlegen – was verändert sich, wenn …?« als wiederkehrender Impuls. Prozessorientiertes Arbeiten ermöglichen – Es gibt kein fertiges Bild – nur ein Prozess der Annäherung.
Mögliche Lernmethoden
Selbststudium/Atelierarbeit – die Übung wird im eigenen Tempo erarbeitet: Teilnehmende ordnen Objekte im Raum an – analog oder digital –, fotografieren oder skizzieren sie, variieren Licht und Abstand. Der Fokus liegt auf dem Sehen: Wo beginnt Spannung? Was entsteht im Zwischenraum? Eine stille Schule der Beobachtung. Gruppenübung – Präsenzformat In einer Gruppe werden Formen gemeinsam platziert – am Tisch, auf dem Boden, an der Wand. Die Beobachtung richtet sich weniger auf das Einzelne als auf das Verhältnis: Wie verändert sich die Wirkung durch kleine Verschiebungen? Im Kreis werden Eindrücke ausgetauscht. Keine Bewertung, nur Wahrnehmung.
Digital/Online Atelier – virtuelle Formen werden mithilfe von AR Apps oder kollaborativen Whiteboards platziert. Die Teilnehmenden arbeiten im geteilten Raum – sehen einander, kommentieren, verschieben. Gestaltung wird hier zur sozialen Praxis: Jede Setzung beeinflusst das Ganze. Der Bildschirm wird zum Resonanzraum.
Körper Raum Übung – Formen und Abstände werden mit dem eigenen Körper erfahren. 2 Stühle, 1 #Lichtkegel, ein Schritt nach vorn oder zurück. Nähe und Distanz werden nicht nur gesehen, sondern gespürt. Im Anschluss werden die Eindrücke skizziert, beschrieben, ins Verhältnis gesetzt. Der Körper denkt mit.
Zum Weiterdenken
Wenn Raum nicht »Hintergrund« ist, sondern Träger von Bedeutung, verändert sich alles. Gestaltung wird zum Eröffnen von Zwischenräumen – nicht zum Ausfüllen von Flächen. Der Zwischenraum lehrt uns, dass Nicht Handeln ebenso Ausdruck sein kann wie Tun. Und dass wir, wenn wir Gestaltung ernst nehmen, nicht nur die Formen setzen – sondern auch entscheiden, was wir frei lassen.
Kapitel 3: Die Form als Beziehung
Ein Fokus auf Resonanz, Zusammenspiel und gestalterisches Miteinander
Nichts steht isoliert in der Welt. Jede Form steht in Beziehung zu anderen. Catharine Remberts Methode betonte stets diese Verbundenheit. Wenn wir eine Form setzen, müssen wir ihre Nachbarschaft bedenken. Wie wirkt sie neben anderen? Welche Resonanz erzeugt sie? Gestaltung wird zur Kunst der Beziehungen, zur sensiblen Wahrnehmung des Zusammenspiels von Elementen.
Oft glauben wir, wir »gestalten etwas«. Doch in Wahrheit gestalten wir immer auch den Raum, in dem dieses Etwas wirkt – und wie es sich zu anderem verhält. Eine runde Form neben einer eckigen verändert unsere Wahrnehmung. 2 gleich große Formen in unterschiedlichem Abstand erzeugen Rhythmus. Asymmetrie kann Unruhe bedeuten, Symmetrie Stille.
In einer Übung arbeiten wir mit ausgeschnittenen Papierformen oder digitalen Shapes. Sie werden nicht einfach abgelegt, sondern zueinander positioniert – mal nah, mal versetzt, mal überlappend. Es geht nicht darum, ein schönes Bild zu machen. Es geht darum zu spüren: Wann entsteht Spannung? Wann tritt Harmonie ein? Und was passiert, wenn ich eine Form leicht drehe oder verschiebe?
Manche Anordnungen scheinen zu sprechen. Andere scheinen sich gegenseitig zu übertönen. Eine Teilnehmerin formulierte es so: »Ich habe gemerkt, dass meine Form erst wirklich da ist, wenn sie die andere anschaut.«
Diese Art zu sehen bedeutet, Gestaltung als Beziehungsarbeit zu verstehen. Ich setze nicht einfach etwas in den Raum. Ich reagiere auf das, was schon da ist – und setze etwas hinzu. Diese Haltung schult nicht nur die Augen, sondern auch das Denken: Gestalten heißt zuhören. Und antworten.
Digitale Tools wie browserbasierte Whiteboards oder kollaborative Kompositionsplattformen können diesen Dialog sichtbar machen: Viele gestalten gleichzeitig am selben Feld. Jeder Eingriff verändert das Ganze. Gestaltung wird zur sozialen Geste – nicht zum individuellen Ausdruck.
Aufgabenstellung: Form Komposition als Beziehungsgeste
Ziel: Erstelle eine kleine Komposition aus 2 bis 5 einfachen Formen. Das Augenmerk liegt nicht auf den Formen selbst, sondern auf dem Zusammenspiel: auf Nähe, Abstand, Größe, Ausrichtung und Wirkung. Arbeite analog (Papier, Pappe) oder digital (Grafikprogramm, AR Plattform).
Reflexionsfragen
Welche Form hat wann die stärkste Präsenz? Wie verändert sich die Wirkung, wenn du eine Form drehst oder nur leicht verschiebst? Wo entstehen »Beziehungslinien«, wo entsteht Leere? Welche Form reagiert – welche führt?
Dokumentation
Arbeite in mehreren Variationen. Fotografiere, notiere, benenne. Vielleicht entsteht eine Serie – oder eine einzige Konstellation, die bleibt.
Lernziele
Relationales Sehen stärken: Formen nicht isoliert, sondern im Verhältnis zueinander betrachten. Gestalterisches Feingefühl entwickeln: Achtsamkeit für Balance, Spannung, Dichte und Rhythmus. Entscheidungsprozesse transparent machen: Jede Veränderung bewusst beobachten und reflektieren. Soziales Gestalten erproben: Gestaltung als Rückkopplung mit anderen, statt nur als Ausdruck des eigenen Willens.
Pädagogische Prinzipien
Beziehung statt Beherrschung: Gestaltung wird nicht »über« das Material gebracht, sondern entsteht in Resonanz damit. Sensibilisierung durch Variation: Wiederholte Veränderung kleiner Parameter fördert tiefes Sehen. Beschreibende Sprache fördern: In der Rückschau werden Beobachtungen geteilt – nicht Urteile gefällt. Teilhabe sichtbar machen: Die Wirkung einer Form ist nicht unabhängig – sie entsteht im Zusammenspiel.
Mögliche Lernmethoden
Einzelarbeit im Atelier – aus einfachen Materialien – Papierstücke, Farbflächen, Fundobjekte – werden Formen ausgeschnitten und auf einer Fläche arrangiert. Auf dem Tisch. An der Wand. Es geht nicht um das Endbild, sondern um das Sehen im Prozess: Was passiert, wenn ich verschiebe? Was zeigt sich im Abstand? Die Komposition wird fotografiert, reflektiert – nicht bewertet.
Partnerübung/Dialogform – 2 Personen arbeiten abwechselnd an derselben Fläche. Eine Form wird gesetzt – dann reagiert die andere. Ohne zu sprechen entsteht ein gestalterischer Dialog. Was entsteht durch das Gegenüber? Wo entsteht Spannung? Wo Rückzug? Eine Form antwortet auf die andere – wie in einem stillen Gespräch.
Digital/Online – in einem geteilten Whiteboard Raum gestalten mehrere Personen gleichzeitig. Formen werden platziert, verschoben, ergänzt – jede Handlung verändert das Ganze. Screenshots dokumentieren den Prozess, Audioaufnahmen begleiten die Reflexion. Gestaltung wird hier zur gemeinsamen Praxis: sichtbar, dialogisch, offen.
Raumgreifendes Arbeiten – der Raum selbst wird zur Fläche. Objekte – Kissen, Stühle, Steine – werden so angeordnet, dass sie in Beziehung treten. Es entsteht keine Collage auf Papier, sondern eine Konstellation im Raum. Die Betrachtung erfolgt gehend, fühlend, aus verschiedenen Blickwinkeln. Die Dokumentation: fotografisch, skizzenhaft, erzählend.
Zum Weiterdenken
Beziehungen sind nicht nur etwas, das »zwischen Menschen« stattfindet. Sie zeigen sich auch zwischen Formen, Farben, Klängen, Gedanken. Wer lernt, in Beziehungen zu denken, entwickelt eine andere Form von Bewusstsein – eine, die nicht beherrschen will, sondern antworten kann. Die Form fragt – und du antwortest mit einer anderen. Dazwischen entsteht Bedeutung.
Kapitel 4: Reduzierung als Zugang
Ein Fokus auf Klarheit, Konzentration und das Wesentliche
Reduzierung bedeutet nicht Verzicht, sondern Klarheit. Weniger Form bedeutet mehr Raum für Bedeutung. Ein Kreis, eine Linie, eine Fläche – gerade durch ihre Einfachheit öffnen sie unsere Augen für das Wesentliche. Diese Übungen lehren uns, Entscheidungen bewusst zu treffen und die Kraft des Einfachen zu schätzen. Reduzierung macht sichtbar, was oft übersehen wird.
Wer reduziert, muss wählen. Und wer wählt, übernimmt Verantwortung. In einer Zeit, in der Überfülle oft mit Qualität verwechselt wird, wirkt Reduzierung fast radikal. Sie lädt ein zur Entschleunigung, zum Innehalten, zum gezielten Weglassen. Was bleibt, wenn alles Unwesentliche entfernt wird? Was trägt noch Bedeutung, wenn Dekoration, Effekt und Überladung verschwinden?
In der gestalterischen Praxis begegnet uns diese Haltung auf unterschiedliche Weise: Wir arbeiten mit nur einer Farbe. Nur einer Form. Nur einem Material. Manchmal ist es eine Linie auf leerem Grund, ein einziger Schatten auf weißem Papier. Oder eine Fläche Wachs, dünn aufgetragen, auf einem alten Karton. Solche Arbeiten wirken zunächst schlicht – bis man sich einlässt. Dann beginnen sie zu sprechen. Leise, aber tief.
Digitale Medien können diesen Prozess verstärken oder herausfordern. Eine Schwarzweiß Komposition auf dem Tablet, bewusst ohne Filter, ohne Rückgängig Option. Die Linie sitzt. Der Kontrast steht. Oder: Eine Fläche wird invertiert, gespiegelt, beschnitten – bis nur noch ein Fragment bleibt. Reduzierung digital bedeutet oft: den Impuls zum »Mehr« zurückhalten. Das ist eine gestalterische Disziplin.
Eine Teilnehmerin beschrieb es einmal so: »Ich musste mir eingestehen, dass ich Dinge hinzugefügt habe, weil ich nicht wusste, wann genug ist.« Reduzierung ist auch ein #Spiegel.
Aufgabenstellung: Das Wesentliche sichtbar machen
Ziel: Erstelle eine Arbeit, die sich bewusst auf das reduziert, was für dich wesentlich ist. Reduziere Form, Farbe, Material oder Technik – aber behalte die Aussage. Arbeite mit einem einzigen Werkzeug oder in einem klaren Format: zum Beispiel nur Schwarzweiß, nur Kreisformen, nur Linien auf Leere.
Impulse für die Reflexion
Wann spüre ich, dass es »genug« ist? Fühle ich mich wohler, wenn mehr da ist – oder wenn weniger bleibt? Was gewinnt an Bedeutung, wenn ich es isoliert betrachte? Optionale Erweiterung: Erstelle zwei Fassungen: eine überfüllte, eine reduzierte. Vergleiche. Was ändert sich?
Lernziele
Gestalterisches Urteilsvermögen schärfen: Lernen, wann eine Komposition vollständig ist – auch ohne »viel«. Reduzierung als kreatives Werkzeug erfahren: Nicht als Einschränkung, sondern als Zugang zu Tiefe. Reflexionsfähigkeit stärken: Eigene Entscheidungen begründen und bewerten lernen. Achtsamkeit für das Unauffällige kultivieren: Die Stille zwischen den Formen wahrnehmen.
Pädagogische Prinzipien
Weniger ist Mehrsicht: Die Qualität entsteht nicht durch Aufwand, sondern durch Bewusstheit. Entscheidung statt Effekte: Jeder Eingriff ist ein Statement – und muss nicht immer stattfinden. Spüren statt Stapeln: Gestaltung als Weg zum Kern, nicht zur Fülle. Unvollständigkeit zulassen: Auch das Unfertige darf eine Aussage tragen.
Mögliche Lernmethoden
Atelierarbeit (individuell) – Reduzierung wird hier als Entscheidung geübt: Ein Werkzeug. Eine Farbe. Eine Form. In Serie oder als einzelnes Blatt. Es geht nicht um Vielfalt, sondern um Vertiefung. Jede Wiederholung schärft den Blick. Jede Begrenzung öffnet neue Wege. Weniger wird zum Zugang – nicht zum Verzicht.
Digitales Experiment – Digitale Tools werden bewusst eingeschränkt: Ein Invert Filter, eine Schwarzweiß Ebene, das gezielte Weglassen durch »Negative Fill«. Was bleibt sichtbar, wenn Farben entzogen werden? Was gewinnt an Bedeutung? Die Reduzierung wird hier nicht simuliert, sondern provoziert – durch Technik als Wahrnehmungsimpuls.
Vergleichende Übung – eine Arbeit wird 2 mal gestaltet: einmal in maximaler Fülle, einmal in radikaler Reduzierung. Danach folgt die Betrachtung beider Versionen – nebeneinander, übereinander, durchscheinend. Was bleibt, wenn Überflüssiges fehlt? Was fehlt, wenn das Wesentliche bleibt? Reduzierung wird zur Frage, nicht zur Lösung.
Geführte Gruppenübung – die Gruppe gestaltet in Stille – jeder für sich, mit reduziertem Material. Danach Austausch im Kreis: »Was hat uns reduziert?« Nicht: Was ist schön? Sondern: Was wurde weggelassen – und warum? Der Raum wird zum Resonanzkörper für Entscheidungen, Zweifel, Klarheit.
Zum Weiterdenken
Reduzierung ist nicht das Gegenteil von Gestaltung. Sie ist ihre Essenz. Wer reduziert, trifft klare Entscheidungen – und nimmt sich zugleich selbst zurück. In einem einzigen Punkt kann mehr Wahrheit liegen als in hundert Mustern. Wer das einmal gespürt hat, der sieht auch im Alltag anders: aufgeräumter, ruhiger, bewusster.
Kapitel 5: Der Schatten als Tiefe
Ein Fokus auf Substanz, Wahrnehmungschärfung und innere Bewegung
Schatten sind nicht nur Dunkelheit, sie sind Tiefe. Sie verleihen einer Form Substanz und laden dazu ein, hinter die Oberfläche zu blicken. Indem wir Schatten bewusst einsetzen, lernen wir, nicht nur das Offensichtliche zu sehen, sondern das Verborgene, das Tieferliegende. Diese Praxis schafft Bewusstsein für subtile Wahrnehmung und innere Resonanz.
Ein Schatten zeigt nicht sich selbst – er zeigt, dass etwas da ist. Er ist Spur, Echo, Abdruck. Und zugleich ist er ungreifbar, flüchtig, wandelbar. Wenn wir mit Schatten arbeiten, betreten wir einen Zwischenbereich: zwischen Licht und Dunkel, zwischen Form und Auflösung, zwischen Sichtbarkeit und Geheimnis.
In einer Übung platzieren wir ein einfaches Objekt in ein einzelnes Licht. Die Form tritt zurück – der Schatten wird sichtbar. Wir zeichnen nicht das Objekt, sondern nur seinen Schatten. Oder wir fotografieren ihn, verschieben die Lichtquelle, beobachten, wie sich die Projektion verändert. Ein Strich, der durch Schatten entsteht, ist nicht weniger präzise – nur stiller. Und manchmal bedeutungsvoller.
Digitale Werkzeuge helfen uns, Schattenräume zu untersuchen: Ein »LiDAR« Scan etwa zeigt, wie sich Tiefe algorithmisch vermisst – was bleibt dabei auf der Strecke? Und was lässt sich durch digitale Invertierung sichtbar machen, was vorher verborgen blieb? Auch hier: Schatten ist nicht nur optisch. Er ist konzeptionell.
Eine Teilnehmerin sagte einmal: »Ich dachte, ich sehe nur den Umriss. Aber ich habe mich selbst im Schatten erkannt.«
Schattenarbeit ist auch Spiegelarbeit
Aufgabenstellung: Mit Schatten gestalten. Ziel: Untersuche die gestalterische Kraft von Schatten. Verwende ein Objekt deiner Wahl – zum Beispiel eine Hand, eine Form, ein Alltagsgegenstand – und inszeniere es mit einer Lichtquelle. Zeichne, fotografiere oder digitalisiere ausschließlich den entstehenden Schatten.
Impulse für die Reflexion
Was erzählt der Schatten, das die Form nicht zeigt? Was verändert sich, wenn das Licht sich ändert? Was bedeutet »Tiefe«, wenn sie nicht tastbar, aber sichtbar wird? Optionale Erweiterung: Nutze ein digitales Tool (zum Beispiel AR oder »LiDAR«), um die Schattenwahrnehmung zu analysieren oder zu verfremden – etwa durch Umkehrung, Projektion oder 3D Mapping.
Lernziele
Sensibilität für indirekte Formen stärken: Schatten als Träger von Bedeutung wahrnehmen. Visuelle Tiefe verstehen und gestalten lernen: Licht Schatten Dynamiken bewusst einsetzen. Abstraktionsfähigkeit fördern: Vom Gegenstand zur Wirkung denken. Eigenwahrnehmung durch Gestaltung vertiefen: Was spiegelt sich im Ungezeigten?
Pädagogische Prinzipien
Wahrnehmung verlangsamen: Schatten verlangt Geduld, genaues Hinschauen. Unsichtbares ernst nehmen: Nicht nur das Explizite hat Bedeutung. Assoziation zulassen: Der Schatten als Projektionsfläche für Emotion, Erinnerung, Unbewusstes. Materialität neu lesen: Ein Schatten braucht keinen Pinsel – nur Licht.
Mögliche Lernmethoden
Atelierarbeit (individuell) – ein Objekt, eine Lichtquelle – mehr braucht es nicht. Der Schatten wird an die Wand oder auf das Papier geworfen, beobachtet, skizziert oder fotografisch festgehalten. Vielleicht wandert er später ins Skizzenbuch. Vielleicht bleibt er flüchtig. Die Zeichnung folgt nicht der Form, sondern dem Licht.
Digitale Exploration – Schatten werden nicht nur beobachtet, sondern erzeugt – mit digitalen Mitteln. »LiDAR« Scans oder Invert Funktionen machen sichtbar, was dem Auge verborgen bleibt. Schatten verzerren sich, vervielfältigen sich, lösen sich auf. Gestaltung wird hier zur Wahrnehmungsschulung im digitalen Raum.
Geführte Gruppenübung – im Kreis werden Objekte beleuchtet – nacheinander, wortlos. Jede*r sieht den Schatten des anderen, nimmt ihn auf, übersetzt ihn in Bild oder Sprache. Es entsteht eine Kette von Reaktionen, Assoziationen, Deutungen. Der Schatten wird zum Gesprächspartner – auch ohne Worte.
Bewegte Schattenarbeit – mit einer #Taschenlampe oder einem mobilen Lichtquell bewegt sich der Körper im Raum. Schatten entstehen, verzerren sich, verschwinden. Eine Kamera hält fest, was das Auge kaum fassen kann: die Flüchtigkeit der Geste. Gestaltung in Bewegung – sichtbar gemacht durch Licht und Zeit.
Zum Weiterdenken
Schatten zu gestalten bedeutet, sich dem Nicht Sichtbaren zuzuwenden. Wir lernen, zu hören, wo niemand spricht. Zu sehen, was nicht glänzt. Und zu erkennen, dass Tiefe nicht immer dort liegt, wo etwas dick aufgetragen wird – sondern oft genau dort, wo etwas fast verschwindet.
Wer Schatten wahrnimmt, sieht mehr – auch im Alltag. In Gesichtern. In Räumen. In Pausen. Vielleicht ist Gestaltung am stärksten dort, wo sie zurücktritt – und Platz lässt für Tiefe.
Kapitel 6: Wiederholung als Erkenntnis
Ein Fokus auf Vertiefung, Geduld und das Lernen über Zeit
Wiederholung ist kein mechanischer Akt. In Catharine Remberts Lehre ist sie vielmehr ein Weg zur Tiefe, zur kontinuierlichen Selbsterforschung. Indem wir immer wieder dieselbe Übung durchführen, entdecken wir stets Neues. Wiederholung ist Geduld, ist Vertrauen darauf, dass sich das Wesentliche erst nach und nach offenbart. Sie wird zum meditativen Prozess, zur Schule des genauen Hinsehens.
Was auf den ersten Blick gleich erscheint, zeigt im 2. seine Unterschiede. Die gleiche Linie, am nächsten Tag gezogen, wirkt anders. Die gleiche Form, erneut ausgeschnitten, fühlt sich anders an. Wiederholung erzeugt nicht Routine, sondern Resonanz – eine feine Schwingung zwischen Hand, Auge, Denken und Gefühl.
Eine wiederholte Handlung beginnt, mehr als nur Technik zu sein. Sie wird zu einer Art Gespräch mit sich selbst. Jede Wiederholung ist eine kleine Frage: Bin ich noch hier? Was sehe ich heute, was ich gestern nicht sah? Was verändert sich – im Bild, im Körper, im Blick?
Ein siebentägiges Linienritual, täglich dieselbe Form, dieselbe Zeit. Oder: Eine Komposition, jeden Tag neu gesetzt, aus den gleichen Elementen. Manchmal ist die Veränderung minimal, kaum sichtbar. Manchmal überraschend radikal. Und beides ist wertvoll. Denn nicht die Größe der Veränderung zählt – sondern das Bewusstsein dafür.
Eine Teilnehmerin sagte: »Erst am vierten Tag habe ich gemerkt, wie sehr ich dem Papier nicht vertraut habe.« Wiederholung zeigt nicht nur Fortschritt – sie zeigt Muster. Auch innere.
Aufgabenstellung: Gestalterische Wiederholung
Ziel: Wähle eine einfache Übung oder Form (zum Beispiel eine Linie, eine Fläche, ein Schattenbild) und wiederhole sie täglich – für mindestens 5 Tage. Dokumentiere den Prozess durch Zeichnung, Fotografie oder Audio.
Optionen zur Variation
Gleiches Format, aber wechselnde Materialien, gleiches Motiv, aber wechselnde Stimmung, gleiches Medium, aber wechselnde Tageszeit. Reflexion: Führe ein kurzes Journal zu jeder Wiederholung. Was war anders? Was blieb? Wann begann es leicht zu werden – wann schwer?
Lernziele
Tiefe durch Wiederholung erfahren: Lernen, mit feinen Unterschieden umzugehen. Geduld und Aufmerksamkeit kultivieren: Gestaltung als Prozess über Zeit begreifen. Selbstbeobachtung verankern: Wahrnehmung von Innen und Außenprozessen reflektieren. Bewusste Differenzierung schulen: Auch kleine Verschiebungen sehen und benennen können.
Pädagogische Prinzipien
#Iteration als Erkenntnisweg: Lernen ist ein zyklischer, kein linearer Prozess. Prozess statt Bewertung: Der Fokus liegt nicht auf dem »besseren« Ergebnis, sondern auf der inneren Bewegung. Vertrauen in die Langsamkeit: Tiefe entsteht nicht durch Tempo, sondern durch Wiederholung. Transparenz im Prozess: Jede Wiederholung ist sichtbar – kein »Korrigieren«, kein »Verstecken«.
Auch diese Reihe von Lernmethoden – passend zu Kapitel 6: Wiederholung als Erkenntnis – lässt sich wunderbar in deinem vertrauten, ruhigen Stil formulieren. Die Sprache bleibt verdichtet, bildhaft und offen, sodass jede Methode mehr ist als eine Anweisung: Sie lädt zur Erfahrung ein.
Mögliche Lernmethoden
Selbststudium/Ritual – die Wiederholung wird zum täglichen Moment der Rückkehr. Immer zur gleichen Zeit, mit dem gleichen Material – eine Linie, eine Geste, ein Schatten. Danach ein kurzer Nachsatz: ein Gedanke, eine Stimmung, ein Wort. Nicht zur Auswertung – nur zur Spurensicherung.
Gruppensetting/Vergleich – jeder arbeitet mehrere Tage lang am gleichen Motiv. Am Ende werden die entstandenen Serien gemeinsam betrachtet – still, nebeneinandergelegt, ohne Hierarchie. Im Austausch wird sichtbar, was sich verändert hat – in der Linie, im Blick, in der Haltung. Wiederholung wird zur kollektiven Erkenntnis.
Digital begleitet – die Wiederholungen werden als Timelapse dokumentiert – fotografisch, filmisch oder in Screenshot Reihen. Im Nachhinein werden Unterschiede sichtbar, die im Tun unbemerkt bleiben. Die digitale Schichtung macht Zeit greifbar – nicht technisch, sondern sinnlich.
Körperorientiert – nicht die Hand, sondern der Körper wiederholt sich: eine Geste, eine Bewegung, eine Haltung. Diese Wiederholung wird zeichnerisch oder sprachlich festgehalten. Es geht nicht um Perfektion, sondern um das Spüren. Der Körper denkt mit – und zeigt, was sich eingeschrieben hat.
Zum Weiterdenken
Wiederholung ist nicht Wiederholung, wenn man mit anderen Augen hinschaut. Jede Iteration erzählt eine Geschichte – auch wenn sie sich kaum vom Vorher unterscheidet. Und vielleicht ist genau darin die Erkenntnis: dass Sehen eine Frage der Aufmerksamkeit ist, nicht der Abwechslung.
Wer Wiederholung zulässt, öffnet sich einer anderen Zeit. Einer Zeit, in der Tiefe nicht durch Veränderung entsteht, sondern durch Wiederkehr. Gestaltung wird so zum inneren Rhythmus – und der eigene Blick zum Instrument, das immer feiner gestimmt wird.
Kapitel 7: Die Collage als Formverständnis
Ein Fokus auf Fragment, Kontext und schöpferische Offenheit
#Collage ist nicht nur das Aneinanderfügen von Teilen – sie ist ein Denkraum. Sie erlaubt Widerspruch, Bruch und Neuordnung. In ihr treffen Fragmente aufeinander, die nie füreinander gedacht waren – und beginnen trotzdem, miteinander zu sprechen. Sie ist das künstlerische Einverständnis mit dem Unfertigen, dem Vielschichtigen, dem Nicht Linearen.
In der Collage verbinden sich alle vorherigen Kapitel: Die Linie taucht als Fragment auf. Zwischenräume werden spürbar. Formen begegnen sich neu. Reduzierung zeigt sich im Weglassen. Schatten bleibt als Spurenfeld erhalten. Und Wiederholung wird zur Struktur im Hintergrund. Nichts muss ganz sein – aber alles hat Bedeutung.
Manchmal beginnt eine Collage mit einem Schnitt. Ein Stück Zeitung. Ein Farbfeld. Ein digitaler Scan. Manchmal beginnt sie mit einem Fehler: Ein Riss. Ein Fleck. Eine Lücke. Doch genau darin liegt ihre Kraft. Collage ist die Kunst, mit dem zu arbeiten, was da ist – nicht mit dem, was perfekt wäre.
Digitale Tools erweitern diese Praxis: KI Inpainting kann Leerstellen andeuten, ohne sie zu füllen. Negative Fill Techniken lassen bewusst Lücken bestehen. Scans von Zeichnungen treffen auf digitale Glitches. Und doch gilt: Die Geste bleibt entscheidend. Collage ist kein Stil – sie ist eine Haltung.
Eine Teilnehmerin beschrieb es so: »Meine Collage war wie ein Gespräch mit all meinen Skizzen – und auch mit dem, was ich nicht gezeichnet habe.«
Am Ende steht nicht ein fertiges Bild, sondern ein Sichtfeld. Ein Statement, das aus Teilen ein Ganzes macht – nicht durch Vollständigkeit, sondern durch Präsenz.
Aufgabenstellung: Fragment trifft #Fragment
Ziel: Stelle eine Collage zusammen, die mindestens drei verschiedene gestalterische Spuren aus deinem bisherigen Prozess aufgreift (zum Beispiel Linie, Schatten, Form, Fragment, Text, Leerstelle). Arbeite dabei bewusst mit dem Unfertigen, dem Fehlerhaften, dem Zufälligen.
Mögliche Materialien
Analoge Fundstücke (Papier, Zeitung, Foto, Notiz, Faden, Schattenriss), Digitale Bestandteile (Screenshots, AR Objekte, Scans, digitale Glitches), Selbstgeschaffene Elemente (Skizzen, Wiederholungen, Negativräume). Reflexion: Benenne, was sich begegnet. Und was nicht. Wo du dich enthalten hast. Was du ausgeschnitten hast – und warum. Deine Collage muss nichts erklären – aber sie darf fragen.
Lernziele
Kompositorisches Denken in Beziehungen umsetzen: Fragmentarisches als gestalterische Sprache verstehen. Ambivalenz aushalten und nutzen: Brüche und Kontraste bewusst gestalten. Materialübergreifend arbeiten: Analoges und Digitales gleichwertig verknüpfen. Visuelle Aussagen mit persönlichem Bezug entwickeln: Gestaltung als Reflexionsmedium erfahren.
Pädagogische Prinzipien
Offenheit statt Perfektion: Die Collage lebt vom Unfertigen. Dialogisches Gestalten: Fragmente als Stimmen im Bild verstehen. Fehler als Form: Der Riss, der Schnitt, die Lücke – nichts davon ist Schwäche. Verknüpfung statt Addition: Nicht alles nebeneinander – sondern miteinander.
Mögliche Lernmethoden
Individuelle Studioarbeit – die Collage entsteht als Abschlussarbeit – nicht geplant, sondern gesammelt. Aus Skizzen, Schatten, Fragmenten, Linien und Wiederholungen wird ein neues Bild zusammengesetzt. Kein Best of, sondern ein Gespräch der Teile. Eine Verdichtung dessen, was war – und was sich daraus ergibt.
Gemeinschaftsprojekt – alle bringen Fragmente mit – ein Stück #Papier, eine #Linie, einen #Ausdruck. Daraus entsteht eine gemeinsame Fläche: eine Collage der Stimmen. Was der eine beginnt, führt der andere fort. Was verloren scheint, wird neu verbunden. Gestaltung wird zur geteilten Sprache, ohne viele Worte.
Digital hybride Collage – die Elemente kommen aus verschiedenen Quellen: analoge Fundstücke, gescannte Skizzen, digitale Effekte. Photoshop, Procreate oder Tablets sind Werkzeuge, keine Filter. Der Wechsel zwischen haptischer Spur und digitalem Eingriff wird nicht kaschiert – sondern bewusst gezeigt. Die Collage als hybrider Denkraum.
Serielle Collagenarbeit – 3 Varianten mit denselben Mitteln: dieselben Papiere, dieselbe Farbfläche, dieselbe Linie. Doch jede Fassung setzt die Teile anders. Einmal rhythmisch. Einmal zerbrechlich. Einmal offen. Der Unterschied wird nicht gesucht – er entsteht. Und macht sichtbar, was Gestaltung durch Wiederholung wirklich bedeutet.
Zum Weiterdenken
Eine Collage verlangt nicht, dass du alles weißt. Sie fragt nur, ob du bereit bist, zuzuhören. Den Teilen. Den Lücken. Dir selbst. Sie ist ein Ort, an dem alles zusammenkommen darf – nicht um sich zu glätten, sondern um zu zeigen: Ich bin nicht ein Bild, ich bin viele. Und jedes spricht anders.
Die Collage ist nicht das Ende. Sie ist ein Spiegel. Und manchmal: der Anfang einer neuen Sprache.
Kapitel 8: Infinity, der achte Gedanke
Ein Moment zwischen Verdichtung und Weite
Am Ende des Prozesses – oder vielleicht an seinem durchlässigsten Punkt – steht ein Gedanke. Keine Zusammenfassung. Kein Resultat. Sondern eine Spur. Etwas, das bleibt. Und zugleich weiterführt.
Jeder Teilnehmer formuliert einen eigenen Text – einen Gedanken. Nicht länger als hundert Worte. Kein Statement. Keine Antwort. Nur ein Satz. Ein Rhythmus. Ein Fragment.
Dieser Gedanke wird risografisch auf Transparentpapier gedruckt. Nicht als Krönung. Nicht als Etikett. Sondern als Überlagerung – über das entstandene Werk gelegt. Wie ein Filter, der nicht verbirgt, sondern durchscheinen lässt.
So entsteht ein leiser Dialog: Zwischen Text und Fläche. Zwischen Geste und Reflexion. Zwischen dem, was sichtbar wurde – und dem, was darunter liegt. Zwischen dem, was gesagt ist – und dem, was weiterwirkt.
Der Gedanke ist eine Verdichtung. Aber auch ein Übergang. Eine letzte Geste, die sich nicht schließt, sondern öffnet.
Infinity heißt hier: Nichts ist zu Ende. Die Linie geht weiter. Der Raum bleibt offen. Das Denken verlagert sich – von der Hand in den Blick, vom Papier in die Zeit.
Glossar – Begriffe im Zusammenhang
Achter Gedanke – Persönlicher Text, der zum Abschluss des gestalterischen Prozesses entsteht. Keine Zusammenfassung, sondern ein Echo – ein Satz, ein Fragment, eine Geste. Wird auf Transparentpapier risografisch gedruckt und über das eigene Werk gelegt.
Beziehungsraum – Gestaltung nicht als Anordnung von Dingen, sondern als Dialog zwischen Elementen. Zwischen Raum und Form, Form und Form, Mensch und Material. Beziehungen sichtbar machen – nicht nur Objekte.
Collage – nicht das Zusammenkleben von Teilen, sondern das Sichtbarmachen von Vielstimmigkeit. Fragment, Bruch und Lücke als Teil des Ganzen. Eine Haltung, die Widerspruch zulässt – und Bedeutung daraus formt.
Formverständnis – nicht das Wissen um Formen, sondern das Gespür für ihre Wirkung. Wie Form sich zeigt, begegnet, widerspricht. Gestaltung als sensibles Reagieren – nicht als Beherrschen.
Geste – ein zeichnerischer oder körperlicher Ausdruck, der nicht dekoriert, sondern etwas sichtbar macht. Jede Geste trägt Entscheidung. Jede Geste kann Haltung sein.
Infinity – ein Prinzip, kein Ende. Gestaltung hört nicht mit dem Werk auf. Sie bleibt offen – in der Erinnerung, im Raum, im Weiterdenken. Infinity ist die Einladung, Prozesse nicht zu schließen, sondern weiterzutragen.
Leerstelle – nicht Mangel, sondern Raum für Resonanz. Was nicht gezeigt wird, kann trotzdem sprechen. Leerstellen sind Einladung zur Assoziation – und zur Stille.
Linie – mehr als eine Spur – eine Entscheidung im Raum. Eine Linie verbindet, trennt, fragt, hält. Sie ist Zeichen einer Haltung. Und oft: der Anfang von allem.
Materialität – jedes Material hat seine Sprache. Wachs spricht anders als Kreide, Licht anders als Papier. Gestaltung beginnt da, wo wir dem Material zuhören – und nicht nur damit arbeiten.
Negativraum – der Raum, der entsteht, wenn etwas weggelassen wird. Kein Hintergrund, sondern Gegenüber. Ein aktiver Teil des Bildes – oft mächtiger als das Gezeigte.
Reduzierung – nicht Verzicht, sondern Konzentration. Das Weglassen ist eine Geste des Vertrauens: dass das Wesentliche reicht. Gestaltung durch Klarheit, nicht durch Fülle.
Resonanz – ein Wechselspiel zwischen Wahrnehmung und Welt. Gestaltung nicht als Ausdruck, sondern als Antwort. Resonanz meint: Etwas antwortet – auch, wenn es still bleibt.
Schatten – nicht Dunkelheit, sondern Tiefe. Der Schatten ist eine Spur – vom Licht, vom Körper, vom Dazwischen. Wer Schatten sieht, sieht auch das Verborgene.
Wahrnehmung – der Anfang jeder Gestaltung. Nicht bloß Sehen, sondern ein Hinhören mit allen Sinnen. Gestaltung als Schule der Wahrnehmung: für das Sichtbare – und das, was offen bleibt.
Wiederholung – nicht Routine, sondern Vertiefung. Durch Wiederholung wird das Offene klarer. Der Blick wird ruhiger. Die Geste bewusster. Lernen durch Wiederkehr – nicht durch Abwechslung.
Zwischenraum – der Ort, an dem Bedeutung entsteht. Zwischen 2 Linien, 2 Stimmen, 2 Momenten. Der Zwischenraum ist nicht leer – er ist lebendig. Er ist der Raum des Dialogs. Mehr …
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