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Die Stille nach dem Schlaf: Wie das LWL Klinikum Gütersloh Kinder ruhigstellte – und warum das niemand hören will
#Gütersloh, 25. Oktober 2025
Der Untersuchungszeitraum der am 10. September 2025 vorgestellten Studie »Missbräuchlicher Einsatz von Medikamenten an Kindern und Jugendlichen in Nordrhein Westfalen« umfasst die Zeitspanne von der Gründung des Landes im Jahr 1946 bis zum Jahr 1980.
#Sozialminister Karl Josef #Laumann: »#Kinder und #Jugendliche haben in stationären Einrichtungen in Nordrhein Westfalen Unfassbares erlitten. Es steht ihnen zu, dass diese Gräueltaten umfassend beleuchtet und aufgearbeitet werden sowie maximale Aufmerksamkeit bekommen. Die Studie zum Medikamentenmissbrauch der Forscher und Forscherinnen um Prof. Dr. Heiner Fangerau von der #Universität #Düsseldorf, der Universität #Hildesheim und dem Deutschen Institut für #Heimerziehungsforschung tut genau das: Sie führt das bisherige Wissen zusammen und stellt die wichtigste Perspektive, die der Betroffenen, in den Fokus. In ihrer Gesamtheit führt sie uns das schreckliche Ausmaß des Missbrauchs vor Augen.«
In den 1950er Jahren galt die #Kinderpsychiatrie und #Jugendpsychiatrie Gütersloh als modern. #Tests, #Tabellen, #Blutwerte, #Röntgenaufnahmen – die Sprache der #Wissenschaft sollte Ordnung in das Unverständliche bringen: Kinder, die schrieen, liefen, nicht passten.
Die Studie »Missbräuchlicher Einsatz von Medikamenten an Kindern und Jugendlichen in Nordrhein Westfalen« beschreibt, wie diese Ordnung hergestellt wurde: mit #Scopolamin, #Valeriana, #Hexobarbital, und anderen Mitteln, die nicht #Krankheit heilten, sondern #Verhalten formten.
Ein Protokolleintrag vom Februar 1953 notiert über ein 7 jähriges Mädchen: »Seit heute früh nicht zu halten, läuft im Kreis. Auf Scopolamin und Valeriana wesentlich ruhiger, schläft ein.« Das ist keine #Therapie. Das ist #chemische #Erziehung.
Die Normalität der Kontrolle
Die Gütersloher Klinik war keine Ausnahme, sondern ein Mikrokosmos der Nachkriegsgesellschaft. Psychiatrie war Verwaltung – von Abweichung, von Störung, von Abweichlern.
1957 wurden dort Testpräparate verabreicht, intern als »F 156« verzeichnet – ein #Barbiturat in der Erprobung. In einem anderen Kapitel finden sich »Versuche mit #Glutaminsäure« – einem Stoff, den man damals als »Pulver gegen #Dummheit« propagierte.
Diese Sprache entlarvt eine Haltung: Das Kind als Defizit. Die #Medizin als Mittel zur #Normierung.
#Diagnosen als Urteil
Von 132 untersuchten Fällen in Gütersloh wurden 55 als »Schwachsinn« oder »hirnorganisch geschädigt« diagnostiziert. Die Studie spricht von »vagen Formulierungen ohne klare Belege«. Doch solche #Diagnosen entschieden über Leben – über #Internierung, #Schule, #Freiheit. Die Klinik fungierte als Beobachtungsstelle und Gutachterstelle des »Landschaftsverbands Westfalen Lippe« (LWL). Ihre Bewertungen waren Grundlage für Maßnahmen der #Jugendhilfe, #Justiz und #Fürsorge.
So wurde medizinische Autorität zur staatlichen Exekutive über das Kind.
Gewalt im Weißen Kittel
Bis in die 1960er Jahre hinein wurden in Gütersloh #Pneumenzephalographien durchgeführt – Eingriffe, bei denen #Hirnflüssigkeit entnommen und durch Luft ersetzt wurde, um das Gehirn zu röntgen. Ein schmerzhaftes, riskantes Verfahren, heute unvorstellbar.
Auch #EEGs, #Rorschachtests und #Blutanalysen gehörten zum Standard – ein Arsenal der Objektivierung. Der Körper des Kindes wurde zum Messinstrument gesellschaftlicher Angst: Angst vor Unordnung, Abweichung, Unkontrolle.
#Schweigen als Fortsetzung der Therapie
Die Autoren der Studie sprechen von einem »systemischen Missbrauch medizinischer Autorität«. Doch in Gütersloh herrscht heute Stille. Der »#Landschaftsverband #Westfalen #Lippe«, Träger der Klinik, äußert sich nicht öffentlich zur Rolle seiner Einrichtungen. Keine Gedenktafel, kein Forschungsauftrag, keine Namen der Ärzte, die entschieden, was »ruhiggestellt« bedeutete.
Es ist das alte Muster: Aufklärung gilt als Zumutung. Schuld wird als Vergangenheit entsorgt. Verantwortung wird klinisch sauber gehalten.
Die Struktur der Verantwortungslosigkeit
Die Geschichte des »LWL Klinikums Gütersloh« ist keine historische Randnotiz, sondern ein Lehrbuchbeispiel für institutionelle Immunität. Die Mechanismen sind vertraut: Macht organisiert sich durch Routine. Missbrauch wird durch Sprache verschleiert. Aufarbeitung bleibt optional, solange sie niemand einklagt.
Die #Kinder, die in Gütersloh ruhiggestellt wurden, waren Produkte einer Gesellschaft, die Abweichung nicht aushielt. Die Erwachsenen, die sie behandelten, handelten im Namen der Vernunft – und lieferten die Beweise dafür, wie dünn diese Vernunft war.
Nachklang
In einem Land, das sich gern seiner Aufarbeitung rühmt, zeigt Gütersloh, was das eigentlich heißt: Nicht erinnern, sondern integrieren – solange es keine Kosten verursacht. Vielleicht müsste man die alten Akten lauter lesen. Vielleicht müsste man hören, wie sich Stille anhört, wenn sie mit #Scopolamin erzeugt wurde.
Quellen
Heiner Fangerau et altera: »Missbräuchlicher Einsatz von Medikamenten an Kindern und Jugendlichen in Nordrhein Westfalen seit der Gründung des Landes bis in die 1980er Jahre«, #MAGS #NRW, 2024.
#Landtag NRW, Drucksachen 18/4209, 18/1403.
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