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#KWS #Lectures: #Moralismus und das Ende der #Verbindlichkeit
#Gütersloh, 25. Oktober 2025
Richard David #Precht hat jüngst wieder eine jener Thesen formuliert, die sofort feuilletonistische Wellen schlagen: Wir bräuchten, so meint er, eine neue Regierungsform. Die #Agrarkultur habe die #Aristokratie hervorgebracht, die #Industrialisierung die #Demokratie – und nun, im Zeitalter der #Künstlichen #Intelligenz (#KI), müsse eine neue politische Ordnung folgen, denn das sei die »Industrialisierung 2.0«.
Das klingt gewaltig. Es klingt nach #Hegel, nach #Geschichtsphilosophie, nach #Epochenbruch. Doch es ist, bei näherem Hinsehen, eine technizistische Verkürzung: Precht verwechselt #Staatsform mit #Zeitgeist, #Regierungsorganisation mit #kulturellem #Zustand und mit #Gesellschaft. Er glaubt, die Maschine mache den Menschen – und übersieht, dass es umgekehrt ist: Der Mensch macht die Maschine, und er bleibt auch ihr moralischer Urheber.
I. #Technikdeterminismus – oder die falsche #Diagnose
Precht erzählt Geschichte wie eine Kette technischer Revolutionen: Pflug – Dampfmaschine – Algorithmus. Doch in Wahrheit waren politische Formen nie bloße Reaktionen auf Werkzeuge, sondern auf Konflikte, Ideen, Werte. #Aristokratie, #Republik, #Demokratie – sie entstanden nicht aus Technik, sondern aus Verbindlichkeit: aus gemeinsam geteilten Regeln, Verfahren, Pflichten.
Gerade das aber fehlt uns heute. Nicht, weil #KI uns bedroht, sondern weil der gesellschaftliche Konsens über das, was verbindlich ist, erodiert. Wir leben nicht im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz – wir leben im Zeitalter der #Morale.
II. Das Zeitalter der Morale
Moral ist an sich nichts Schlechtes. Aber Moralismus ist keine Moral. Er ist ihr Zerrbild – eine Ethik ohne Prinzipien, ein Imperativ ohne Inhalt.
Moralismus ersetzt #Recht durch #Gefühl, #Urteil durch #Empörung, #Argument durch #Haltung. Er teilt die Welt in »gut« und »böse« – und wer fragt, nach welchen Kriterien, ist schon verdächtig. In einem solchen Klima ist #Compliance, also freiwillige, regelkonforme Verbindlichkeit, kaum mehr möglich.
Denn Compliance lebt von Prinzipien – und Moralismus kennt keine. Er ist situativ, emotional, launenhaft. Er verachtet Maß und Form und erklärt Verlässlichkeit zur »Kälte« oder »Strukturalität des Bösen«. So entsteht eine paradoxe Kultur: Je moralischer sie sich fühlt, desto unberechenbarer wird sie.
III. Political Correctness – der moralische Zirkel
Ein Stichwort bringt diesen Zustand auf den Punkt: politisch korrekt. Die meisten glauben, das bedeute »gut«, »nett«, »nicht diskriminierend«. Doch ursprünglich heißt es: »der geltenden #Doktrin entsprechend«.
»Political correctness« war einst eine ironische Selbstkritik – heute ist sie zum moralischen Gütesiegel geworden. Doch was ist die »geltende Doktrin« unserer Zeit? Gerade das lässt sich nicht mehr sagen – denn dank des moralistischen Klimas gibt es keine stabilen Maßstäbe mehr. »Politisch korrekt« ist damit nur noch das, was im Moment als »gut« gilt. Das ist der logische Zirkelschluss des #Moralismus:
Gut ist, was gut ist, weil es gut ist.
Diese Leere wird durch Empörung gefüllt. »Falsche« Worte oder »falsche« Gesten genügen, um Schuld zu konstruieren – während echte Verantwortung verschwindet. Es zählt nicht mehr, was jemand tut, sondern wer er ist und wie er wahrgenommen wird. Das ist #Ideologie ohne Ideologie: eine leere #Moral, die sich selbst für #Reinheit hält.
IV. Der Verlust der Form
Das Tragische daran ist, dass der Moralismus genau das zerstört, was Zivilisation zusammenhält: Form. Form heißt, dass ich mich binde – an Regeln, an Verfahren, an Wahrheitspflichten. Dass ich nicht moralisch handle, weil ich mich gut fühle, sondern obwohl ich mich vielleicht nicht gut fühle. Dass ich Recht spreche, auch wenn ich jemanden mag; dass ich Verträge halte, auch wenn sie unbequem sind.
Im moralistischen Klima aber gilt diese Selbstbindung als »toxisch«, »reaktionär«, »strukturell versteinert«. Verlässlichkeit wird zur Sünde – spontane Empörung zur Tugend. Doch eine Gesellschaft, die das glaubt, kann keine Republik bleiben. Denn die Republik lebt nicht von Moral, sondern von Verbindlichkeit.
V. Nicht KI, sondern #Kultur
Das wahre Problem unserer Zeit ist also nicht Künstliche Intelligenz, sondern verlorene Urteilskraft. Nicht zu viel Maschine, sondern zu wenig Maß. Nicht mangelnde Technik, sondern mangelnde Form. Precht ruft nach einer neuen Regierungsform – doch was wir wirklich brauchen, ist die Wiederentdeckung des republikanischen Ethos …
Regeln statt Rhetorik,
Prinzipien statt Affekte,
Treu und Glauben statt Empörungsökonomie.
Oder, um es kantisch zu sagen: Nicht gut gemeint, sondern gut begründet.
VI. Die stille Mehrheit
Natürlich – das alles betrifft nur eine dünne Schicht der Gesellschaft. Die große Mehrheit der Menschen lebt jenseits dieser Diskurse. Sie interessiert sich nicht für Regierungsformen oder moralische Theorien. Sie steht morgens auf, arbeitet, versorgt #Kinder, pflegt #Angehörige, hält Dinge am Laufen. Diese Menschen leben, ohne es zu wissen, das, was den moralischen Diskursen längst abhandengekommen ist: Verbindlichkeit.
Sie tun, was getan werden muss. Sie halten Verträge, sie erscheinen pünktlich, sie sagen, was sie tun, und tun, was sie sagen. Sie sind die leise Infrastruktur der Republik – das unprätentiöse Fundament, auf dem alles ruht.
Oben wird geredet, beredet, zerredet. Unten wird getragen.
Die Republik wird oben zerredet – aber unten getragen.
Vielleicht ist genau das ihre Rettung.
VII. Schluss
Moralismus ist die Krankheit einer Gesellschaft, die ihre eigenen Formen verlernt hat. Er hält sich für die höchste Tugend, ist aber das Gegenteil von #Ethik: Er zerstört die Möglichkeit der Moral, weil er Verbindlichkeit verachtet.
Die Republik überlebt nicht durch neue Technologien oder neue Regierungsformen – sondern durch die alte, immer wieder neu zu lernende Kunst der Selbstbindung. Nur sie macht #Freiheit möglich. Denn Freiheit ohne Form ist Willkür. Und #Willkür ist – moralisch gesehen – das Ende der #Moral.
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