

Der Fluss Kischon bei Haifa. Foto: Hanay, Creative Commons BY SA 3.0, Informationen zu Creative Commons (CC) Lizenzen, für Pressemeldungen ist der Herausgeber verantwortlich, die Quelle ist der Herausgeber
#KWS #Lectures: Wie ich zum #Fluss wurde oder Warum wir in Zeiten von #Digitalisierung und #KI alle #Kishon sind
#Gütersloh, 16. November 2025
Ein Mann, der kein Fluss war – und trotzdem einer wurde
#Ephraim #Kishon beginnt seine berühmte Geschichte mit etwas eigentlich Unmöglichem: Ein Mensch wird mit einem Fluss verwechselt. Nicht metaphorisch, nicht poetisch, nicht symbolisch. Ganz bürokratisch. Ein #Schreiben der #Behörde erreicht ihn – wackelige Maschinenschrift, amtlicher Tonfall, unpersönlich und unbestechlich. Er soll die Sanierung des Flusses »Kishon« bezahlen – eines Nebenflusses des #Jordan.
Er heißt zufällig genauso. Das genügt. Damit ist die Sache entschieden. Der #Staat hat gesprochen. Der #Computer hat beschlossen. Die #Akte ist angelegt. Und damit ist Kishon in den Augen der Verwaltung nicht länger Mensch, sondern ein hydrologisches Objekt mit Sanierungsrückstand. Es ist die komischste und gleichzeitig bitterste #Satire des 20. Jahrhunderts.
Und heute ist sie keine Satire mehr. Heute ist sie Dokumentation.
Wenn die Akte mächtiger ist als die #Wirklichkeit
In einer der zentralen Szenen steht Kishon vor einem Beamten und versucht zu beweisen, dass er kein Fluss ist. Der Beamte betrachtet ihn. Lässt ihn geduldig im Zimmer stehen. Drehen. Wenden. Mustern. Dann sagt er: »Ich räume ein: Sie könnten ein Mensch und kein Fluss sein.« Das ist der Verwaltungsmodus im Reinzustand: nicht vernünftig, nicht absurd, sondern systemimmanent.
Was der Beamte eigentlich sagt, lautet: »Ich darf die Realität nicht anerkennen, solange die Akte ihr widerspricht.«
Es ist der höchste Ausdruck bürokratischer Macht: Die Akte ist wahr – der Mensch ist Verdacht.
Der Computer als Gott – und die Geburt des #algorithmischen #Totalitarismus
In der Geschichte folgen Mahnungen, Vollstreckungsbescheide, Drohungen. Alle im selben Tonfall: sachlich, unbarmherzig, final. Kishon wird behandelt wie ein säumiger Fluss. Es gibt keine Ansprechpartner, keine Logik, keinen Abbruch des Verfahrens, keine Verantwortlichen, kein Zurück. Heute nennt man das automatisierte Mahnläufe, algorithmische Risikoprofile, »diese Entscheidung wurde maschinell erstellt«, »wir können das nicht ändern, das kommt vom System«.
Der Computer ist nicht mehr Werkzeug. Er ist #Autorität. Er ist #Weltdeuter. Er ist – ohne Übertreibung – der neue Gott. Unfehlbar, unnahbar, unbesprechbar. Kishon hat die Geburt des digitalen Staates beschrieben, bevor es Digitale gab.
Die Identität des Bürgers zerfällt – und das System behält Recht
Die Pointe seiner Geschichte ist grausam: Kishon, der Mensch, verliert den Kampf gegen Kishon, den Fluss. Nicht weil er unrecht hat. Sondern weil er nicht vorgesehen ist. Das System kennt nur 2 Zustände: Anträge und Pflichten. Nicht Identitäten. Nicht Menschen. Nicht Realität.
Es ist die Logik moderner Bürokratie: Der Bürger ist nur so lange real, wie der Datensatz ihn zulässt. Heute kann das bedeuten: Du hast keinen Vertrag, weil das System keinen anzeigt. Du bekommst kein Geld, weil das Feld »validiert« fehlt. Du bist nicht versichert, weil ein Klick falsch war. Du bist tot, weil das Meldeamt dich versehentlich ausgetragen hat. Du bist doppelt, weil ein Name zweimal existiert. Du bist niemand, weil dein digitaler Datensatz nicht existiert. Was in Kishons Zeit noch als Satire galt, ist heute Normalfall.
Die neue digitale Tyrannei ist nicht böse – sie ist dumm
Der moderne Verwaltungsapparat ist nicht bösartig. Er ist schlimmer: Er ist gleichgültig. Man stirbt nicht durch Verfolgung – man wird einfach nicht verarbeitet. Man verliert keine #Rechte – man wurde nur nicht zugeordnet. Man wird nicht #diskriminiert – man wird systemisch übersehen.
Und genau das macht die neue Tyrannei so gefährlich: Es ist eine Tyrannei durch Fehler, durch Technik, durch Prozess, durch Verantwortungsstreuung, durch Protokoll und Formular.
Die Tyrannei eines Systems ohne Täter.
Und jetzt die bittere Wahrheit: Wir alle sind Kishon
Was Kishon passiert, passiert heute jedem: Du rufst bei einer Hotline an und sprichst mit KI. Du erreichst keine Menschen mehr. Du wirst nach Kategorien sortiert. Du wirst nach Algorithmen bewertet. Du wirst verwaltet statt verstanden. Du bekommst automatische Ablehnungen. Dein Konto wird gesperrt, weil eine »Verifikation fehlgeschlagen ist«. Du bekommst Mahnungen für Dinge, die du nie bestellt hast.
Wir leben heute genau in dem Staat, den Kishon als #Parodie beschrieben hat. Er hat einfach nur früher hingeschaut.
Die Gesellschaft des Blaumilchkanals – #Moral als #Apparat
Kishons groteske Logik findet sich nicht nur in Behörden. Sie findet sich in der gesamten modernen Moral: Eine Masse von Apparatschiks, angetrieben von moralischen Narrativen, die von irgendwoher stammen – von anonymen »Blaumilchs«, die die Richtung vorgeben.
Alle rennen. Alle graben. Alle machen mit. Niemand denkt.
Es ist dieselbe Logik: Der Apparat lebt von Impulsen. Der Impuls kommt von irgendwo. Die Masse folgt blind. So entstehen #Bewegungen, #Kampagnen, #Shitstorms, #Moralpaniken. Die Gesellschaft wurde selbst zu einem #Blaumilchkanal.
Die Moral des Ganzen – und sie ist schwarz
Kishons Geschichte endet damit, dass der Kanal tatsächlich gebaut wird. Die falsche Identität wird realisiert. Sie wird wahr, weil sie gebaut wurde. Das ist das Schlimmste an der modernen Bürokratie: Fehler werden nicht korrigiert – sie werden institutionalisiert.
Und am Ende ist der Fluss wirklich da. Nicht, weil er existierte, sondern weil das System ihn brauchte.
Schluss: Warum wir alle Kishon sind
Kishons Geschichte ist keine Satire. Sie ist ein Protokoll. Er hat nicht die Zukunft vorhergesagt. Er hat das Wesen des modernen Staates entschlüsselt: Ein System, in dem der Mensch nur noch ein Sonderfall des Datensatzes ist, in dem Verantwortung verdampft, und in dem die Realität nicht zählt, wenn sie nicht im Formular steht.
Wir sind alle Kishon.
Und solange wir nicht verstehen, dass #Bürokratie, #Digitalisierung und #KI ‘nicht unsere Helfer sind, sondern unsere Spiegel – solange wird der Fluss weitergebaut. Und die Mahnungen werden weiterkommen.
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